Sonntag, 30. Jänner 2011
Österreichisch-chilenisches Freundschaftstreffen in Nueva Braunau
Nach der gestrigen Tour sind wir etwas müde und verbringen den Tag mit Heinz. Wie schon erwähnt, haben wir
bei Arvid diesen äußerst liebenswürdigen Steirer kennengelernt, der schon viele Jahre in Chile lebt. Um alle
Details seiner interessanten Lebensgeschichte zu erfahren, müsst ihr ihn allerdings selbst in Nueva
Braunau (Neu Braunau – Deutsches Museum – Tagebuch, 17. Jänner) auf seiner Ranch besuchen. Er holt uns bei
Arvid ab, um mit ihm einen erlebnisreichen Tag im Sinne österreichisch–chilenischer Völkerverständigung zu
verbringen. In Nueva Braunau, wo Heinz eine Landwirtschaft mit nur mehr 150 Rindern (bis vor kurzem hatte
er noch 1500) betreibt, lernen wir zunächst seinen Nachbarn Enrique kennen. Dieser ist waschechter Chilene,
fährt wochentags für ein Transportunternehmen und spricht hervorragend Deutsch. Er lädt uns am späten
Nachmittag zu Grillhühnchen ein. Er freut sich sichtlich auch wieder einmal Gelegenheit zu haben, sich länger
mit seinem "furchtbaren Nachbarn", wie er Heinz gerne bezeichnet, zu treffen. Die beiden sehen sich zwar regelmäßig
bei einem Sonntagsbier haben aber wegen ihrer Betriebsamkeit für längeres gemeinsames Beisammensein keine Zeit.
Querfeldein befahren wir Heinz' Liegenschaften und er schildert uns seine Tätigkeit als chilenischer Bauer. Nach längerem Suchen finden wir auch seine Pferde, die er aber aus Zeitmangel nicht zureiten kann. In seinem Haus haben wir Gelegenheit eine echte Winchester anzufassen, was für einen Zivildiener wie Rüdiger eigentlich streng verboten
ist. Heinz ist aber nicht nur Landwirt. Außer dass er seine Grundstücke mit Bagger und Caterpillar selbst
mit Wassergräben, Wällen und Zäunen umgibt, hat er nebenbei immer gleichzeitig mehrere originelle Projekte in Arbeit, so dass ihm wenig Zeit zu bleiben scheint,
die Früchte seiner Arbeit zu genießen.
Zivi mit Waffe |
Projekt
"Rocky-Docky" - weitestgehend Eigenbau (Holz, Fensterstöcke, Mauern, ...) |
Sein Traum: "Rocky Docky" neben der Autobahn |
Ob er dieses Vorbild hat? http://www.rocky-docky.at/index.htm
Dieses "Mobile-Home" hat er für eine seiner Töchter gebaut. Es steht auf Kufen und kann mit dem Traktor am Grundstück bewegt werden. Dadurch sind die chilenischen Bauauflagen wesentlich leichter zu erfüllen!
Nach unserer Tour durch Nueva Braunau holen wir noch Rüdigers Hohner Melodica, sein Reisemusikinstrument, das er immer dabeihat, wenn es droht gemütlich zu werden. Wir fahren zu Enrique, der die Hühnchen sorgfältig mit Würsten füllt, mit Kupferdraht "zunäht" und auf dem Spieß über der Glut mit einem Elektrostarter in Drehung versetzt.
Während wir uns bei Bier und Eigenbauwein über Gott und die Welt unterhalten, holt Enrique sein hundertjähriges Hohner Akkordeon und eine Tuba. Es dauert nicht lange, bis sich Enrique und Rüdiger einigen und die Garzeit musikalisch untermalen. Dabei stellt sich heraus, dass Enriques Deutschkenntnisse mit seiner musikalischen Begabung eng verbunden sind. Wir staunen nicht wenig, als er unter anderem:
"Muss i denn...", das Kufsteinlied, "Fürstenfeld", und
"Trink ma nu a Flascherl..." anstimmt. Bei so manch deutschem Volkslied hat Rüdiger mitunter Probleme mit Melodie und
Text. So erzählt er uns, dass er sein Deutsch ausschließlich dem Musizieren bzw. dem damit verbundenen Lernen der Liedertexte zu verdanken hat. Sein Akzent lässt eher vermuten, Deutsch sei seine mittlerweile etwas verloren
gegangene Muttersprache. Zusammen jammen Enrique und Rüdiger mit Akkordeon, Tuba und Melodica, wodurch sich die Wartezeit auf den Spieß subjektiv drastisch verringert.
Die Texte, die Enrique beherrscht, stammen zum Teil aus deutschen Schlagern und Liedern und sind auch Heinz, Rüdiger und mir zum Teil unbekannt. Oder kennt jemand das
Lied: "Sie lässt mich nicht, sie lässt mich nicht, sie lässt mich keine
Ruh'..."? Da konnte dann nicht ausbleiben, dass über Sprache, Sprachgebrauch und Redewendungen geblödelt wird. Und so lernen wir heute, dass die Chilenen in etwas derberer Umgangssprache statt "gestorben"
"er hat das Arschloch nach links gedreht" sagen.
Das gefüllte Hendl schmeckt vorzüglich und es mangelt uns an nichts. Zum Drüberstreuen plündert Heinz noch die Kühltruhe und fährt mit seinem chilenischen Biorind auf. Als wir uns auf den Heimweg machen, sind wir beinahe mehr als nur satt. Ein Pisco zum Abschluss beugt Verdauungsproblemen vor. Als kleines Dankeschön schenkt Rüdiger seine Hohner Melodica Enrique mit der Auflage, dass er regelmäßig darauf spiele.
Ehe uns Heinz die 13 km nach Puerto Varas zurück bringt, beschließen wir bei Gelegenheit mit Heinz einmal seine weiter von hier entfernt liegenden Latifundien im Zuge eines Ausfluges mit dem Auto abzufahren.
Die Erkenntnis des Tages ist die Bestätigung, dass es nur zwei Typen von Menschen gibt: solche mit denen man sich problemlos versteht und verständigen kann und solche mit denen dies nur unter größter Anstrengung möglich ist. Wir hatten heute Glück!
© Text + Fotos: Wolfgang Raab, Bad Ischl, Austria Web: Arvid Puschnig, Hosteria Outsider, Puerto Varas, Chile Tel.+56 (0)65 2231056