Reisebericht mit vielen Fotos von einer Chilereise vom November und Dezember 2012 |
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Zurück durch Chubut, Frühsommer in Puerto Varas und auf Chiloé
Chubut ist nach den Provinzen Buenos Aires und Santa Cruz flächenmäßig die drittgrößte, liegt aber
was die Besiedlungsdichte betrifft an vorletzter Stelle (ca. 2 Einwohner pro km², zum Vergleich: Santa Cruz hat
ca.1 Einwohner pro km²). Da von maximal 500.000 Einwohnern etwa 400.000 in den 4 bevölkerungsreichsten von
insgesamt 15 Departamentos von Chubut leben, ist die Besiedlungsdichte in den restlichen 11 Departamentos 1 bis 0,1 Einwohner pro km²- In diesem Zusammenhang fällt mir gerade ein, dass der Vatikan mit 2 Päpsten pro km² die absolut höchste
Papstdichte der ganzen Welt aufweist.
Die Strecke von Trevelin "heim" nach Puerto Varas ist mit 600 km nicht gerade kurz, aber ausschließlich auf
Asphalt zurückzulegen. Daher brechen wir früh, d.h. um 9:45h auf. Das hört sich komisch an, ist es aber nicht,
weil die Uhren in Artgentinien und Chile im Sommer der Sonne um 2 Stunden vorauseilen. Das ist noch eine
Stunde mehr, als bei uns zur Sommerzeit. Die Unterkunft in der Casa de Piedra war überaus gemütlich. Wir
wurden auch hier sehr freundlich aufgenommen, weil Arvid fast in jedem von uns besuchten Hotel oder Hostel
bekannt ist wie das sprichwörtlich falsche Geld, aber in positivem Sinn. Wir hatten schon bei unserer Fahrt in
den Süden versucht, dort zu übernachten, da war die Casa de Piedra aber von Teilnehmern eines
Halbmarathonlaufes okkupiert.
Schon auf der Hinfahrt erzählte mir Arvid von der
Comunidad Santa Rosa bei Leleque.
Zwichen Esquel und El Bolsón neben der Nationalstraße 40 lebt eine Mapuche-Gemeinschaft mit mehreren
Mapuche-Familien, die ihr Leben auf 534 Hektar Land, das von Benetton wegen vermuteter
Bodenschätze 1991 aufgekauft wurde, verwirklichen. Benneton vertrieb 2002 dort lebende Mapuche von seinem 900.000
Hektar großen Grund. Das kleine Fleckchen Land wurde von den Mapuche 2007 "zurückerobert" und wird von
ihnen beansprucht. Benetton zäunt das Land ein und versperrt den Mapuche damit den Zugang zu ihren
angestammten Feldern, Weideflächen und teils auch Wohnplätzen.
Arvid unterhält sich mit Atilio Curiñanco einem
Aktivisten, der sofort zu uns eilt, als er sieht, dass sich jemand für Santa Rosa interessiert.
Das Schicksal der Mapuche und die Rolle von Benetton bzw. des Staates Argentinien wird im Internet beleuchtet unter:
http://www.mapuche.info/
http://www.mapuche-nation.org/english/main/benetton/main/flash-presentation.htm
Wenige Kilometer weiter besuchen wir das Museum Leleque, das sich mir der Früh- und Besiedlungsgeschichte der
Gegend auseinandersetzt. Großzügiger Förderer dieses Museums ist ausgerechnet Carlo Benetton. Er gab der
Sammlung des Historikers Pablo Korschenewski einen würdigen Rahmen. Es finden sich zahlreiche Exponate
aus der frühen Besiedlungszeit ebenso wie Hinweise auf die wenig ruhmreiche argentinische Geschichte im
Umgang mit indigenen Bevölkerungsgruppen. Insbesondere wurden in dieser Gegend die Tehuelche, die im
18. Jahrhundert von den Mapuche beeinflusst wurden, gegen Ende des 19. und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts
vom neuen Staat Argentinien gewaltsam unterworfen.
Die Dankbarkeit dem Gönner Benetton gegenüber mutet natürlich sehr seltsam an, wenn man weiß, dass sein
Konzern den letzten acht in Leleque lebenden Familien die Lebensgrundlage entzog. Die Einzäunung und
Absperrung des Areals erfordert Umwege von 90 km, um an Wasser zu gelangen. Für das Museumsprojekt
wurden Menschen vertrieben, die letzte Schule in der Gegend geschlossen und der Friedhof in das
Museumsareal "integriert".
Der Anblick des Cordón de Ñirihuau und des Cerro de Colores am Lago Guillelmo entgeht uns auf der Hinfahrt im Vorüberfahren. Jetzt machen wir eine Pause und ein paar Fotos. Der Ginster ist farblich ein Erlebnis, ansonsten aber eher eine Zivilisationsschande, weil er hier wie in Europa auch zur Renaturierung von Straßenbaustellen eingesetzt wird und sich ungehemmt ausbreitet. Obwohl die Luftlinie nach Puerto Varas nur noch 145 km beträgt, liegen noch 335 km auf der Straße vor uns. Beim Überqueren des Paso Cardenal Samoré wundern wir uns wieder über das enorme Ausmaß des Ascheregens durch den Ausbruch des Cordón Caulle im Juni 2011. Am Straßenrand kein Schnee, alles Asche.
Lago Guillelmo Cordón de Ñirihuau |
Luftlinie Lago Guillelmo - Puerto Varas |
Paso Cardenal Samoré |
Aschewolke im Juni 2011 |
Um 21:45 kommen wir in Puerto Varas an, was nicht so schlimm ist, weil es ja laut Sonne doch erst 19:45 ist. Morgen wird ein Ruhetag eingelegt. Beim diesmaligen Aufenthalt bleiben mir aus planungstechnischen Gründen mehrere Tage in Puerto Varas, die ich durchaus genieße. Der Lebensrhythmus hier ist auf Grund der bemerkenswerten Zeiteinstellung gewöhnungsbedürftig, aber ich passe mich diesmal schneller an. Die anderen Gäste sind vorwiegend Chilenen, die so ab 10 Uhr herum zu frühstücken pflegen. Arvid ist Nachtarbeiter, der selten vor 3 Uhr zu Bett geht und entsprechend spät frühstückt. Als Frühaufsteher erledige ich gerne in der Apotheke beim dortigen Bankomaten meine "Bankgeschäfte" und mache dabei regelmäßig einen Rundgang durch das Zentrum oder einen Stadtteil der 35000-Einwohnerstadt. Die Kamelienbäume sind weitgehend verblüht aber Rhododendren und Azaleen in allen Färbungen stehen noch in voller Blüte.
Seit meinem letzten Aufenthalt mit Rüdiger im Jänner 2011 hat sich in Arvids
Hosteria einiges geändert:
Charly, ursprünglich in Innsbruck Polizist, Hüttenwirt und Bergführer ist jetzt Inhaber eines Ausflugsbüros
im Erdgeschoss: http://www.puerto-varas.de/index.html
Er bekocht uns, wie man das von einem Hüttenwirt erwarten kann, bestens. Sein Büro ist im Anlaufen, sodass er noch Zeit
findet bei Arvid als guter Geist im Haus zu wirken. Er vertritt ihn während seiner Abwesenheit und managt die
Hosteria. Wäre er nicht Polizist gewesen, würde ich sagen ein Freund, mit dem du Pferde stehlen
kannst.
Kristin und Jorge, die zum engsten Freundeskreis Arvids gehören, kenne ich schon von meinem letzten
Aufenthalt. Kristin, Jorges Frau, hat sich mittlerweile im zweiten Büro im Erdgeschoss eingemietet. Sie stammt
aus Deutschland und ist Prothetikerin: http://www.ortopedicastahl.com/
Nach einigen Jahren kann sie nunmehr mit der chilenischen Krankenkasse zusammenarbeiten. Das ist für
sie wichtig, weil Privatpatienten hier rar sind. Ihr Mann, Jorge, ist Chilene, der in Puerto Varas politisch engagiert
ist und für die örtliche Wirtschaftskammer arbeitet.
Die Abendunterhaltung mit Arvid, Charly, Kristin und Jorge bestätigt meinen Verdacht, dass es uns in
Österreich nicht nur gut, sondern sehr gut, wenn nicht vielleicht sogar zu gut geht. Die Lebensumstände in Chile
sind weit mehr als bei uns davon abhängig, in welcher sozialen Schicht man geboren wird. Die Diktatur liegt so
lange nicht zurück und der Weg zu einer Demokratie mit mehr gleichen Chancen für alle ist noch ein
weiter. Der
Fortschritt geht schleppend voran und es hapert wahrscheinlich in erster Linie am Zustand des Bildungssystems.
Es gibt allgemeine Schulpflicht und der Analphabetismus ist mit 4 Prozent für Lateinamerika nicht besonders hoch.
Es gibt aber das Problem, dass die öffentlichen Schulen ihrem Bildungsauftrag nur unzureichend nachkommen
und Privatschulen sehr teuer sind. Das setzt sich beim Zugang für höhere Bildung bzw. beim Studium fort. Durch
die generell geringe Besiedlungsdichte herrscht ein entsprechendes Stadt-Land Gefälle. Viele Gegenden sind so
abgelegen, dass praktisch nur durch einen Internatsaufenthalt höhere Bildung zugänglich ist. Jorge, der sozial
und politisch engagiert ist, hat ständig das Gefühl, durch das System in seiner Arbeit behindert zu werden.
Zwei Beispiele, wie skurril die Bürokratie hier teilweise ist:
Beispiel 1: Bei der Bürgermeisterwahl in Puerto Varas kandidieren an die 40 Kandidaten, wobei nicht deklariert
wird, welcher Partei sie angehören. Ein Stimmzettel ist außerdem nur dann gültig, wenn auf der Liste der Kandidat
dadurch gewählt wird, dass aus dem Bindestrich (-) neben seinem Namen durch einen senkrechten Strich von
oben nach unten ein + gemacht wird. Jede andere "Willenskundgebung" ist ungültig. Ein Kreuzchen z.B. wie bei
uns würde den Stimmzettel ungültig machen. So jedenfalls der Gesetzestext.
Beispiel 2: Als Werbung hängen Arvid und Charly internationale Wimpel über ihren Eingang.
Dabei gilt es Folgendes zu beachten: Wenn eine chilenische Fahne dabei ist, muss
diese entweder größer sein als die anderen oder, wenn die Anzahl der ausländischen Wimpel
gerade ist, sich in der Mitte befinden. Bei ungerader Anzahl von ausländischen Flaggen ist die chilenische
Flagge links anzubringen. Das ist bitte kein Scherz, sondern wird mit Strafe bedroht. Außerdem darf eine
chilenische Flagge weisungsgemäß weder gewaschen noch gebügelt werden, hat aber sauber zu sein.
O du fröhliche... Großmärkte haben hier auch feiertags geöffnet, was wir ausnutzen, um uns im nahe gelegenen Puerto Montt mit ein wenig mit Proviant und Autozubehör für die Reise in den Norden einzudecken. Der Besuch eines Super- und eines Baumarktes entpuppt sich als zermürbend, weil wie bei uns Geschäfte in Zeiten wie diesen manchmal gestürmt werden, als wäre das Ende der Welt nahe. Auch hier ist bald Weihnachten, wie man am stilvollen Schmuck erkennt. |
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Baumarkt in Puerto Montt |
Schließlich bekommen wir, was wir brauchen und kehren leicht erschöpft nach Hause zurück.
Chile ist ein Land in dem gerne gefeiert wird, wie man aus der Anzahl der offiziellen Feiertage erkennen kann.
Für ein verlängertes Wochenende werden Feiertage nötigenfalls auch einmal auf einen anderen Tag
verlegt. So war dieses Jahr (2012) der Día de las Iglesias Evangélicas (Reformationstag)
statt am 31. Oktober am 2. November, damit es ein verlängertes Wochenende gibt.
Was die Anzahl der Feiertage betrifft, schlägt Chile sogar Österreich, weil es außer den üblichen Feiertagen
den Tag der chilenischen Marine, Peter und Paul, Unsere Liebe Frau vom Berge Karmel, den Unabhängigkeitstag
Chiles, den Tag der chilenischen Streitkräfte und den Columbus-Tag gibt. Im Mittel ergeben sich
10 Feiertage für Deutschland, 13 für Österreich und 16 für Chile.
Puerto Varas zu Fuß zu erkunden, ist nicht besonders schwierig und vermittelt einen Eindruck vom Leben der
Menschen hier. Das Zentrum ist klein, überschaubar und wird von einer nicht unbedeutenden Anzahl von
Touristen besucht. Bemerkenswert sind die im Frühjahr blühenden Kamelien, Azaleen, Rhododendren und
flammenden Notro-Bäume (chilenischer Feuerbusch).
Das Wahrzeichen von Puerto Varas ist die katholische Kirche, die über der Stadt liegt. Die deutschen Wurzeln der Stadt findet man auf Schritt und Tritt. Sei es das deutsche Vereinshaus, eine deutsche Schule oder ein Kindergarten. Auch liest man oft deutsche Namen wie z.B. Fuchs oder Hase.
Besuche in Kaffeehäusern und verschiedenen Lokalen vermitteln mir den Eindruck, dass die sozialen Schichten hier deutlicher getrennt leben als bei uns und dass die Unterschiede größer zu sein scheinen. Nicht jeder Chilene würde beispielsweise mit einem Kellner einen Smalltalk führen.
Da ich mich mit neuem Smartphone und Netbook für die Reise ausgerüstet habe, verbringe ich nolens volens einige Zeit mit der Lösung technischer Probleme von Internet, LAN und WLAN. Fazit:
Die Technik ist auf der ganzen Welt derselbe Trottel. Trost Nr.1:Niemand sagt hier, dass ich den ganzen Tag nichts anderes mache, als vor dem Blechkastl zu sitzen.
Trost Nr.2: Arvid als wirklicher IT-Profi versteht die Computerwelt auch manchmal nicht.
Trost Nr. 3: Ganz so schlecht wie wir immer glauben ist der Service unserer Telefongesellschaften nicht.
Hilft alles nichts: Abschalten, ausstecken, warten und wieder einschalten. Das sollte man
tun, ehe man zur Weißglut kommt. Das kann bei uns und in Chile Wunder bewirken.
Warum auch immer?
Bei einem Erholungsrundgang mit Kaffeehausbesuch lerne ich noch manches Detail von Puerto Varas kennen: Die Jahrhundertwendevillen wie z.B. die Casa Kuschel, Verwaltungszentrum des Pumalin Parks,
sind schon einer genauen Betrachtung Wert.
Im Kulturzentrum "Alter Bahnhof" sind Ölbilder von Schulkindern ausgestellt, die mich sehr beeindrucken.
Am Ufer des Lago Llanquihue ist bei Schönwetter immer etwas los. Mit etwa 880 km² wird er in Chile nur vom Lago General Carrera, der mit 970 km² auf chilenischem Gebiet liegt, übertroffen. Zum Vergleich hat der Attersee ein Neunzehntel, der Traunsee nur ein Siebenunddreißigstel der Fläche des Lanquihue-Sees.
Bei diesem Marktfieranten habe ich mich mit Karotten, Radieschen, Erdbeeren und Kirschen der Saison versorgt. |
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Puerto Varas |
Puerto Varas | Marktfierant |
Das Wetter in Puerto Varas ist diesmal wechselhaft, sodass wir einen geeigneten Tag abwarten müssen, um den beim letzten Aufenthalt versäumten Besuch der zweitgrößten südamerikanischen Insel, Chiloé, nachzuholen. Dazu müssen wir rund 200 km in den Süden fahren. Mit der Fähre überwinden wir den Canal de Chacao und fahren über die grüne, fruchtbare und frühlinghaft blühende Insel nach Castro.
Berühmt ist die Insel besonders wegen der vielen kleinen und größeren Holzkirchen. Die größte und bekannteste befindet sich in Castro, ist aber gerade eingerüstet. Außen sind die Kirchen wie viele alte chilenische Häuser mit Schindeln oder Blech verkleidet und bunt bemalt.
Es gibt an die 150 aus Holz gefertigte Kirchen auf der Insel. Diese wurden im 17. und 18. Jahrhundert zumeist aus Zypressenholz erbaut. Die Außenwände der Kirchen sind mit kunstvoll verzierten farbigen Holz- oder Metallschindeln bedeckt. Häufig sind Innenräume und Fassaden farbenprächtig bemalt.
Zu den Attraktionen von Castro zählen auch die alten Fischerhütten (Palafitos), die als Pfahlbauen direkt am Meer stehen. Heute zeigen sie vor allem, dass die Armut in Chile noch nicht überwunden ist.
© Text + Web: Wolfgang Raab, Bad Ischl, Austria, Arvid Puschnig, Hosteria Outsider, Puerto Varas, Chile