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Der Gletscher Perito Moreno
Perito-Moreno-Gletscher - Dichtung und Wahrheit
Zu den touristischen Highlights einer Patagonienreise gehört der Besuch des
weltweit berühmtesten Gletschers, des Glaciar Perito Moreno. In den
Sommermonaten tummeln sich tagtäglich mehrere tausend Touristen auf einer
Aussichtsplattform gegenüber der Gletscherzunge, um den Gletscher in den Canal
de los Témpanos kalben zu sehen. Es ist schon ein großartiges Schauspiel, wenn
sich ein hausgroßer Brocken aus der 55 Meter hohen Eiswand löst und mit
ohrenbetäubendem Getöse ins Wasser stürzt. (Foto 2) Dank der relativ hohen
Fließgeschwindigkeit von 2 Metern pro Tag im Inneren und ca. 35 Zentimetern am
vorderen Rand, deren Ursache vermutlich am Boden befindliche warme Stellen
vulkanischen Ursprungs sind, geschieht dies oft mehrmals am Tag.
Durch den ständigen Gletschervorstoß, der früher gerne als Wachstum
interpretiert wurde, erreichen die Eismassen alle paar Jahre das gegenüberliegende
Ufer des Canal de los Témpanos (Eisbergkanal) und blockieren damit die einzige
Verbindung vom Brazo Sur und Brazo Rico zum nördlihen Teil des großen Lago
Argentino. Da der Lago Argentino zum Norden hin entwässert, aber auch in die südlichen
Arme einige Flüsse, Bäche und Gletscher münden, verursacht die dadurch
entstandene temporäre Staumauer aus Eis einen enormen Anstieg des Pegelstandes
von manchmal über 30 Metern auf der einen Seite der Blockade. In der Folge drücken
die Wassermassen immer stärker gegen die Eisbarriere, bis diese dem Druck nicht
mehr standhalten kann und förmlich explodiert. Fernsehteams und Wissenschafter,
aber auch Touristen aus aller Welt reisen zu diesem Naturspektakel an. Ihnen
bietet sich ein faszinierendes, aber auch gefährliches Schauspiel, auf spanisch
"La Ruptura" genannt. Riesige Eisbrocken werden von den sich
entladenden Spannungen hunderte Meter weit durch die Luft geschleudert. Seit
1960 kamen dabei schon mehr als 30 Menschen ums Leben. 1970 blockierte der
Gletscher nicht nur den Kanal, sondern stieß auch bis in den Wald hinter der
jetzigen Aussichtsplattform vor. Im März 1972 stand das Wasser auf der Südseite
37 Meter über dem Normalstand. Der enorme Druck führte schließlich zu einem
gewaltigen Durchbruch. Ein 170 Meter breiter und 40 Meter hoher Tunnel öffnete
sich und 8.000 Kubikmeter Wasser schossen pro Sekunde heraus. Noch heute kann
man in El Calafate Video-CDs von diesem spektakulären Ereignis kaufen.
Die vorerst letzte Ruptura geschah im Juni 2008.
Perito Moreno - der einzige Gletscher der Erde, der noch immer ständig wächst?
Dies wird jedenfalls gerne den Besuchern erzählt und so kann man es dann auch
in vielen Reiseführern, Reiseberichten von Touristen im Internet und auch in
der Online-Enzyklopädie Wikipedia, die offensichtlich alle diese Geschichten
unkritisch, ohne zu hinterfragen, übernehmen, fälschlicherweise nachlesen. Der
Perito Moreno wäre unter den dahinschmelzenden Gletschern sozusagen eine
rühmliche Ausnahme, geradezu ein Kuriosum, und gäbe der Wissenschaft damit ein
Rätsel auf. Mitnichten! Die Wissenschafter haben längst erkannt, dass der
weltweite Rückgang der Inlandsgletscher auch vor dem Perito Moreno in
Patagonien nicht halt macht. Der Traum vom wachsenden, allen Unbillen der Natur
und dem globalen Temperaturanstieg trotzenden Gletscher am südlichen Ende der
Welt ist leider nicht Wirklichkeit, auch wenn dies so mancher, allen voran die
Tourismusindustrie, nicht wahrhaben will.
Die Eisdicke und damit das Volumen des Gletschers nimmt seit 1980 kontinuierlich
ab. In diesem Zusammenhang ist auch die letzte Ruptura vom Juni 2008 zu
verstehen. Die erste übrigens seit der Beobachtung des Gletschers seit 1917,
die diesmal sogar völlig unerwartet im Winter stattfand. Alle vorhergegangenen
früheren Zusammenbrüche des Eisgiganten geschahen davor ausschließlich in den
Sommermonaten. Glaziologen vermuten, dass durch die ungewöhnliche Hitzeperiode
im diesjährigen Sommer 2008 die Widerstandsfähigkeit des Eises nachgelassen
hatte. (zum
Foto2)
Siehe auch:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,473555,00.html
http://www.ndrtv.de/weltspiegel/20050123/argentinien.html
© Arvid Puschnig, Hosteria Outsider, Puerto Varas, Chile, San Bernardo 318, Tel. +56 65 2231056